Samstag, 23. April 2016

Ruhe, zu der Buerger eigenem Wohl...

LHA SA Wernigerode B 35 I 21, Beunruhigung durch feindliche Truppen im Departement Nr. 34.


Proklamation des Generals von Hammerstein

Indem die Russen bereits ihrem angeblichen Beruf uns Westphalen … die ihnen doch nichts angehen … zu befreyen aufgegeben, und nur hier gewesen, um einige Beduerfnisse zu requiriren. So ist es Zeit, daß jeder, der um Angst oder Zwang seine Plicht vergaß, schell zu derselben zurückkehre. Die Gesetze sind bekannt, diese ruhig zu befolgen ist des Bürgers Pflicht, der unter jeden Umständen seinen Geschaeften fleißig nachgehen und in Politik sich nicht mischen soll. Nur diese Aufführung ist jeder Parthey heilig, nur so traegt einer nicht mehr Last wie der andere, von dem Augenblick an, wo Bürger unruhig werden, sind sie das Spiel und Opfer derselben

Unser König verlangt strenge diese Ruhe, zu der Buerger eigenem Wohl, er will und bedarf keines Aufgeboths und Landsturms, wie unsere Feinde, denen das Wohl des Einzelnen gleichgueltig ist, und die wohl ein verheertes, aber kein befreytes Land sehen moegen. Um diese Ruhe zu erhalten, und alle Unordnung zu entfernen, sind Sr. Majestät Trupen hier eingerueckt, und ich erinnere jeden an seine Pflicht.

                                   Der Divisions=General

                                     Graf von Hammerstein


Hauptquartier d. Westphäl. Armee
in Nordhausen, den 25 sten April 1813

Zeichnung eines Offiziers des 1. Westfälischen
Kürassierregiments, das Hammerstein bis Juni 1813
als Interventionsruppe im Innern sammelte


zur Quelle:


Graf Hans Georg von Hammerstein Equord, König Jerômes erster Flügeladjutant, setzte diese Proklamation nach dem Einzug der westphälischen Resttruppen in Nordhausen zu 2000 Exemplaren in Umlauf. Kurz vor den Osterfeiertagen 1813 sollte ein kleines Streifkorps der alliierten Truppen einen ersten Vorstoß auf Kassel über Heiligenstadt unternehmen, um die französische Regierung des Königreichs Westphalen in Bedrängnis zu bringen. Die Truppen brachen diese Unternehmung aber wegen dringender Kämpfe an der Elbe am 20. April ab. Die westphälische Armee unter dem Divisionsgeneral von Hammerstein traf fünf Tage zu spät in Nordhausen ein. Der Vorstoß war nicht nur für die westphälische Armee ein Desaster, weil bis auf zwei ziellos umherirrende Reiterschwadrone das ganze Departement wehrlos da lag, die Hohnsteiner Dörfer ihre Etappenkassen verloren und die russischen Truppen in Herzberg Waffen erbeuteten. Auch Einwohner hatten unter den Folgen dieses Vorstoßes zu leiden, denn auf Grundlage alter Fahndungslisten der hohen Polizei durchkämmte nun die Armee das Gebiet nach sogenannten „Preußenfreunden“. Tatsächlich war beim Einmarsch der Alliierten am Nordhäuser Kornmarkt eine große Masse an Bürgern zusammengelaufen, die besonders gegen die Gendarmerie öffentlich auftrat.[1] Die Pastoren Plieth (Salza), Böttcher (Pützlingen) und Panse (Hesserode), sowie der Förster Kleemann (Salza) und der Oberamtmann Taute (Wollersleben) wurden teils aus Verrat verhaftet und nach Kassel deportiert. Sie sollten dort vor das Königliche Militärgericht gestellt werden.[2] Solche und ähnliche Verhaftungen waren der Grund, aus dem die Armee einige Tage in Nordhausen blieb, um, gemäß Hammerstein, „alle Unordnung zu entfernen“.

Auffällig an der Proklamation ist Hammersteins unpolitisches Bild vom westphälischen Bürger. So stellt er nicht nur die Sympathiebekundung gegenüber den fremden Truppen als Pflichtvergessenheit dar sondern auch das aktive Eintreten gegen diese Truppen. Ein Landsturm, für den ein preußisches Streifkorps im Departement zeitgleich geworben hatte lag außerhalb jeder offiziellen Vorstellung von Bürgerbeteiligung. Hammerstein wollte nicht auf das politische Verhalten der Nordhäuser einwirken, er wollte es abstellen. Das propagierte Bild vom geschäftigen Bürger war der Versuch, die öffentliche Meinung, die opinion, mit einer Orientierungshilfe für kollektives Handeln zu beeinflussen. Denn einen Adressaten hatte diese Proklamation nicht. Diejenigen Bürger, die auffällig geworden waren, wurden nun strafrechtlich verfolgt, alle anderen taten weiter ihre „Pflicht“.

Zusammen mit der Ungnade, die König Jerôme den Nordhäusern über den Vorfall aussprach, war diese Proklamation also keineswegs zur Herstellung von Ruhe und Ordnung gedacht, sondern zur Mahnung und Strafandrohung. Sie zeigt der Bevölkerung, dass sie zu diesem Zeitpunkt in den militärischen Plänen der Regierung offenbar keine Rolle mehr spielte. Vor dem Hintergrund der Konskription und der fragwürdigen Sicherheitslage nach dem Russlandfeldzug war das ein irritierendes Signal, zumal sich die Armee beim Anrücken der Russen noch auf eigezogene Erkundigungen der Zivilverwaltung verlassen hatte.


Bildnachweis:  Hoher Offizier der 1. westfälischen Kürassiere, 1812.
Uniformtafel n. Richard Knötel (1857-1914),
Public Domain, Abb. älter als 70 Jahre nach dem Tod des Autors


  1. [1] Iffland S., Georg Friedrich Heinrich Plieth 1999, S. 46f.
  2. [2]Förstemann E.G., Friedrich Christian. Lessers Historische Nachrichten von der ehemals kaiserlichen und des heil. röm. Reichs freien Stadt Nordhausen, gedruckt daselbst im Jahre 1740, umgearbeitet und fortgesetzt von Professor Dr. Ernst Günther Förstemann, Nordhausen 1860, S. 390.


Weiterführende Literatur

  • Kleinschmidt Arthur, Geschichte des Königreichs Westfalen, Gotha 1893, S. 576–585.
  • Iffland Steffen, Georg Friedrich Heinrich Plieth, in: Der Heimatbote (1999), Nr. 2, S. 34–57.
  • Schröder Paul, Hin zum Volk - heim ins Vaterland!, Nordhausen 1938.
  • Krönig Friedrich, Chronik des Dorfes Niedergebra, Bleicherode 1902.
  • Hoffmann Birgit, Aufrührer, Ruhestörer oder gute Patrioten? Die gerichtliche Verfolgung von Selbstjustiz und Exzessen bei der Auflösung des Königreichs Westphalen im Gebiet des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel, in: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 79 (1998), S. 85–124.
  • Severin-Barboutie Bettina, Vom freiwilligen Söldner zum dienstpflichtigen Untertan – Militärische Massenmobilisierung im Königreich Westfalen, in: König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen, hg. v. Eissenhauer Michael, München 2008, S. 120–126.
  • Töppel Roman, „Es ist ein trauriges Leben, alle drei oder vier Jahre um seine Existenz bangen zu müssen.“ Die Stimmung in Sachsen während der Befreiungskriege 1813–1815, in: Helden nach Maß: 200 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig; Katalog zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, 4. September 2013 - 5. Januar 2014, hg. v. Rodekamp Volker, Leipzig 2013, S. 27 – 37.